Die Geschichte der Bürgerwehr Niederwangen
Von 1848 – heute
Warum wurde in Niederwangen eine Bürgerwehr aufgestellt ?
Gleich vorweg die Anmerkung:
Bürgerwehren wurden in früherer Zeit nicht „gegründet“, sondern aufgestellt zum Schutze der Bevölkerung. Um zu verstehen, welche Gefahren vor 150 Jahren unserer Gemeinde drohten, ist ein Blick weit zurück in die Vergangenheit unumgänglich. Deshalb wurde nachfolgend einige markante Ereignisse beschrieben, die mir wichtig zum Verständnis der damaligen Zeit erscheinen. Diese ausgewählten Episoden sind nur Teilbereiche der Geschichte und in aller Kürze zur Auffrischung dargestellt.
Kampf um Freiheit und Unabhängigkeit
In einem 7 Jahre dauernden Befreiungskrieg von 1776 – 1783 von 13 nordamerikanischen Kolonialstaaten gegen ihr Mutterland England erreichten die Kolonisten die erstrebte Freiheit und Gleichberechtigung. Dieser Freiheitskampf, der die erstrebte Freiheit des Menschen zu unveräußerlichen Rechten der Bürger erklärte, wirkte sehr stark zurück auf die Völker Europas. Dies zeigte sich schon sehr bald in Frankreich.
Die französische Revolution im Jahre 1789
Freiheit – Gleichheit – Brüderlichkeit waren die Schlagworte. Im 18. Jahrhundert gab es in Frankreich drei streng voneinander getrennte Stände: Die Geistlichkeit – der Adel – Bürger und Bauern. Der III. Stand allein trug die Lasten des Staates. Die Könige verschwendeten unvorstellbare Summen, so daß die Staatsverschuldung stetig wuchs. Das Volk hungerte, weil es für Frondienste des Königs unentgeltlich arbeiten oder die Felder der Adeligen bestellen mußte. Für die Arbeiten auf ihren eigenen Feldern fehlte ihnen die Zeit. Trotzdem mußten die Bauern hohe Abgaben entrichten. Die Geistlichkeit und die Adeligen blieben dagegen steuerfrei. Hierzu kamen noch Mißernten. In Paris herrschte Hunger und große Not.
Die Unzufriedenheit des Volkes wuchs und Redner wiegelten die erregten Menschen noch auf. Da ging ein Ruf durch die Straßen: „Zur Bastille! Zu den Waffen, Volk von Paris! Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“. Tausende Männer stürmten die Waffengeschäfte des Heeres und bewaffneten sich. Die Bastille war das verhaßte Staatsgefängnis, dieses Sinnbild der königlichen Herrschaft und Unterdrückung. Die Volksmenge drängte am 14. Juli 1789 ins Gefängnis, befreite die Gefangenen und der offene Ausbruch der Revolution war das Signal für ganz Frankreich. Auf dem Lande erhoben sich die Bauern und plünderten und brandschatzten die Schlösser ihrer Grundherren. Die Flamme der Revolution loderte jahrelang und breitete sich über ganz Europa aus.
Das Revolutionsjahr 1848 in Berlin
Jahre später griff auch die Revolution auf Deutschland über, das von Wirtschaftskrisen, Teuerungen, Mißernten und Hungersnöten geplagt war.
Totale Unzufriedenheit beim Volke herrschte über die politischen Zustände. Die Bürger forderten unüberhörbar die Mitbestimmung, das Recht auf freie Meinungsäußerung und Pressefreiheit. Die Vorrechte des Adels und der Geistlichkeit sollten abgeschafft werden. Am 18. März 1848 versammelte sich eine große Volksmenge auf dem Schloßplatz in Berlin. Überraschend erschien eine Abteilung der Kavallerie und „säuberte“ den Platz, wobei 2 Gewehrschüsse fielen. die Volksmenge erschrak, war entsetzt und rief erbittert: „Wir werden niedergehaun und niedergeschossen!“.
Sofort wurden in den Straßen Barrikaden errichtet und die Männer griffen zu den Waffen. Bei den entstandenen Gefechten zwischen dem Volk und den Truppen des Königs gab es rund 265 Tote. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. ließ nach diesem Bürgerkriegstag seine Truppen aus Berlin abziehen. Daraufhin räumte das Volk die Barrikaden und versicherte seinen Untertanen, große Zugeständnisse zu machen.
Die Revolution 1848 in Baden
In Baden, dem unmittelbaren Nachbarn Frankreich, hatte der Freiheitsgedanke in besonderem Maße gezündet. Schon im Jahre 1847 trat in Offenburg eine große Volksversammlung zusammen.
Sie forderte die Volksbewaffnung, uneingeschränkte Rede- und Pressefreiheit und die Abschaffung aller Vorrechte. Von Freiheitskämpfern angestiftet, meuterte die Garnision in Rastatt. Der Großherzog mußte fliehen, die Aufständischen besetzten die Hauptstadt Karlsruhe und das Volk rief den Freistaat Baden aus.
Die Freude darüber aber dauerte nur kurze Zeit, denn preußische Truppen rückten an. Die Freiheitskämpfer stellten sich ihnen zwar entgegen, konnten aber gegen die bessere Ausrüstung, Ausbildung und Überzahl nicht lange Widerstand leisten und mußten sich ergeben
Bürgerwehr 1848. Schutz der Verfassung und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung.
Mit gemischten Gefühlen wird Schultheiß Fidel Oberle, Schreiner und Schenkwirt in Niederwangen, ein am 8. Mai 1848 verfaßtes Schreiben des Wangener Oberamtmanns Schubart in Empfang genommen haben. Der wollte nämlich wissen, ob gemäß dem Bürgerwehrgesetz vom 1. April des Jahres 1848 in Niederwangen mittlerweile eine Bürgerwehr aufgestellt und ein Befehlshaber gewählt worden sei.
Revolutionsstimmung
Es herrschten unruhige und bewegte Zeiten. Eine neue Epoche schien angebrochen zu sein. Ausgehend von den Geschehnissen in Paris hatte binnen kurzem eine revolutionäre Bewegung nahezu ganz Europa erfaßt. Auch in den deutschen Staaten hatte das Volk – Bürger, Handwerker, Bauern – in zahllosen Petitionen, Volksversammlungen und teils regelrechten Massenprotesten seinen seit langem erhobenen Forderungen nach politischen Reformen Nachdruck verliehen. Zentrale Wünsche des Volkes waren: Herstellung der nationalen Einheit Deutschlands, Presse und Versammlungsfreiheit, allgemeines, freies Wahlrecht, Bauernbefreiung, Trennung von Staat und Kirche, Verwaltungsreformen, Förderung von Handwerk und Gewerbe, Volksbewaffnung. Während in Frankreich König Louis-Philippe hatte abdanken müssen und eine Republik errichtet worden war, hatten die deutschen Monarchen gegenüber der liberalen Opposition Konzessionen gemacht und damit das Äußerste verhindert.
In Württemberg hatte König Wilhelm I. im März ein neues, von liberalen Männern besetztes Ministerium berufen. Mittlerweile waren wesentliche Wünsche des Volkes, wie die Presse- und Versammlungsfreiheit, erfüllt worden. Auch die Idee der nationalen Einheit Deutschlands schien Wirklichkeit werden zu können. Im April 1848 waren aufgrund allgemeiner Wahlen Abgeordnete für ein gesamtdeutsches Parlament bestellt worden, das noch im Mai seine Tätigkeit als deutsche Nationalversammlung in Frankfurt aufnehmen sollte.
Mit Erlaß des erwähnten Bürgerwehrgesetzes war auch in Württernberg dem liberalen Ruf nach Volksbewaffnung entsprochen worden. Aber während die nun herrschende Presse- und Versammlungsfreiheit allgemein begrüßt wurde, stieß die für alle Gemeinden gesetzlich vorgeschriebene, dauerhafte Errichtung von Bürgerwehren nicht auf ungeteilte Zustimmung.
Freilich, als sechs Wochen zuvor, an jenem denkwürdigen Franzosensamstag, dem 25. März 1848, Berichte über einen Einfall tausender raubender und mordender Franzosen auch in Niederwangen eintrafen und ein dringendes Hilfsersuchen aus Tettnang einging, hatte es keine Schwierigkeiten bereitet, innerhalb weniger Stunden, wie überall im Lande, auch in Niederwangen 45 Mann zusammenzutrommeln und sie – wenn auch unbewaffnet – zur Verteidigung des Vaterlandes nach Tettnang zu schicken.
Daß sie von dort unverrichteter Dinge zurückgekehrt waren, weil sich die ganze Angelegenheit als falsches Gerücht erwiesen hatte, das vor allen Dingen dazu dienen sollte, Haß und Furcht vor den republikanisch gesinnten Franzosen zu schüren, stand auf einem anderen Blatt.
Aber die dauerhafte Aufstellung einer Wehr, die bewaffnet, uniformiert und im Gebrauch der Waffen geübt sein wollte, war doch etwas ganz anderes. Die Kosten für Bewaffnung und Uniformierung sollten Gemeinde und Wehrpflichtige selbst aufbringen. Im Überfluß lebte auch die 700 Seelen-Gemeinde Niederwangen nicht. Fast alle waren Bauern. Die Mißernten der letzten Jahre mit Hungersnot und weitverbreiteter Armut waren noch in schlechter Erinnerung. Jetzt stand die neue Ernte bevor. Da hatten die Bauern anderes zu tun, als halbe Tage lang aus der weitläufigen Gemeinde anzumarschieren und zu exerzieren.
In den Städten, wie in der benachbarten Oberamtsstadt Wangen, war das anders. Angesichts der größeren Bürgerzahl fiel es dort leicht, die erforderliche Mindestzahl von 40 Mann für die Aufstellung einer Kompanie zusammenzubringen.
Dort hatten die Beamten, Selbständigen, Handwerker und Gewerbetreibenden für solche Übungen vielleicht auch mehr Zeit und brauchten im übrigen auch nicht so lange Anmarschzeiten in Kauf zu nehmen. In Wangen hatte man schon im April ein Organisationskomitee gebildet und zwei Kompanien aufgestellt.
Auch ein Schützenhaus stand dort für Übungszwecke zur Verfügung. Aber das Ergebnis der öffentlichen Sammlungen zur Finanzierung der Bürgerwehr ließ immerhin auch in der Stadt zu wünschen übrig. Was sollte Schultheiß Oberle also tun?
Gesetz war Gesetz.
Als Schultheiß der Gemeinde war er für Bekanntmachung und Einhaltung von Gesetzen verantwortlich. Da sollte ihm niemand etwas vorwerfen können. Andererseits war nicht die Zeit, um Gesetze gegen den Willen der Bürger durchzusetzen.
Er entschied sich dafür, auf den 11. Mai erst einmal alle Bürger ins Wirtshaus einzuberufen, um die Erklärung für oder wider gegenüber der Bürgerwehr ‚unterschriftlich abzugeben‘. Das entsprach sicherlich dem Geist der Zeit, war aber eigentlich recht unverfroren, da es über das bereits beschlossene Gesetz nichts mehr abzustimmen gab, sondern es nur noch zu vollziehen war. Wie befürchtet, zeigte sich, daß die Stimmung gegen die Bürgerwehr überwog.
So mußte Oberle dem Oberamt melden, daß er zwar die Liste der Wehrpflichtigen bekannt gemacht habe, es aber in Niederwangen gegen die Errichtung der Bürgerwehr aber erheblichen Widerstand gebe. Vor allem der Umstand, daß nicht nur die Ärmsten und über 50-jährigen von der Pflicht befreit sein sollten, sondern auch jene mit doppeltem Vermögen, errege die Gemüter. Dies stand im Übrigen so nicht im Gesetz, aber vermutlich hatte man dabei die im Gesetz vorgesehene Befreiung der Gemeindediener und Beamten im Auge.
Die Berufstätigen sähen keine Veranlassung, für Arme und Reiche als Wehrmänner zu kämpfen und ihr Hauswesen verkommen zu lassen, weil in einer so weitläufigen Gemeinde das Exerzieren jedesmal einen halben Tag Zeitverlust bedeute. An die Errichtung der Bürgerwehr war jedenfalls noch nicht zu denken. Vorläufig kehrte in der Sache erst einmal Ruhe ein.
Über die Sommermonate hinweg erfolgten keine weiteren Mahnungen des Oberamts mehr. Die Bauern hatten mit der Feldarbeit genug zu tun.
Von allen Seiten war übrigens zu hören, daß Gemeinden nicht nur im Oberamt Wangen, sondern im ganzen Land die Aufstellung der Bürgerwehr mit Klagen über hohe Kosten und Zeitverschwendung verweigerten bzw. hinauszögerten.
Ende August trafen neuerliche Ermahnungen des Oberamts ein: die Einrichtung der Bürgerwehr könne nicht weiter verschoben werden, innerhalb acht Tagen müsse sie organisiert sein und mit Exerzieren begonnen werden. Erst jetzt setzte der Gemeinderat, wie im Gesetz vorgesehen, zur ersten Organisation der Bürgerwehr eine Kommission ein, die vor allem aus Mitgliedern des Gemeinderates bestand und der – wie betont wurde – Männer mit militärischer Bildung angehörten.
Nach Überprüfung der Liste der Bürgerwehrpflichtigen durch diese Kommission blieben – nach Ausschluß der zumeist aus finanziellen Gründen zu Befreienden – von den 60 erfaßten Männern im Alter zwischen 20 und 50 Jahren noch etwa 50 Pflichtige übrig. Am darauffolgenden Sonntag, dem 10. September, waren alle Bürgerwehrmänner zur Wahl eines Hauptmanns und eines Leutnants aufgerufen.
Aber jetzt schlugen die Wellen in der Gemeinde erst richtig hoch. Dreier Anläufe bedurfte es, bis die Wahl erfolgen konnte und dem Gesetz Genüge getan war. Der erste Wahlversuch scheiterte, weil – dem Bericht des Schultheißen zufolge – die Gegner mit ihrem widersetzlichen Auftreten die Mehrheit auf ihre Seite bringen konnten.
Anläßlich der ‚Nachsitzung‘ im Gasthaus wurden aus den Reihen der Pflichtigen weitere Vorwürfe gegenüber Gemeinderat und Kommission laut: Man sehe nicht, wozu die Bürgerwehr überhaupt gut sein solle. Jene, die die Bürgerwehr wünschten und dem Gesetz Folge leisten wollten, seien Schmarotzer. Am 16. September wurde ein zweiter Wahlversuch unternommen.
Aber ‚fürchterlicher als ein Gewitter tobten sie‘, mußte Schultheiß Oberle resigniert vermerken. Alle Bürgerwehrpflichtigen hätten nun erklärt, daß sie sich durchaus nicht zum Wählen und zum Exerzieren verstehen könnten, weil damit zuviele Unkosten und Zeitversäumnis verbunden seien. Überhaupt sei die ganze Sache für den Landmann wertlos.
Bei dem am 25. September unternommenen dritten Anlauf war der Widerstand schließlich gebrochen. Die Wehrpflichtigen wählten den Bauern Xaver Schneider aus Nieratz zum Hauptmann und den Bauern Josef Kathan aus Lachen zum Leutnant der Bürgerwehr.
Dagegen erfolgten keine Einwendungen. Wenige Tage später wurden zwei Feldwebel und vier Zugführer bestellt. Diese sollten gemeinsam mit Hauptmann und Leutnant das Exerzieren mit der Mannschaft übernehmen. Auch wurde ein Verwaltungsrat für die Bürgerwehr eingesetzt.
Die Gemeinderäte Deiring und Riedesser erhielten den Auftrag, in der Schweiz 44 Musketen zu beschaffen, die zum Preis von 277 Gulden und 10 Kreuzen aus der Gemeindekasse bezahlt wurden.
Dienstvergehen
Damit war nun endlich den gesetzlichen Vorschriften Genüge getan; von Bürgerwehrbegeisterung konnte in Niederwangen aber nach wie vor keine Rede sein. Daran änderte auch der Umstand nichts, daß Anfang Oktober umfangreiche, insgesamt 12 Paragraphen umfassende Vorschriften über Dienstvergehen bei der Bürgerwehr und deren Bestrafung erlassen wurden.
Danach machte sich unter anderem der Verletzung der Dienstpflicht schuldig:
„wer den Dienst verweigert …
wer Vorschriften und Befehle einfach nicht befolgt oder nicht genau ausführt …
wer seine Vorgesetzten oder Kameraden beschimpft, bedroht, verspottet, beleidigt …
wer seinen Posten ohne Erlaubnis verläßt …
wer eigenmächtig ausrückt …
wer unerlaubten oder unvorsichtigen Gebrauch seiner Waffe macht wer ohne Erlaubnis Alarm schlägt …
wer die ihm anvertrauten Ausrüstungsstücke beschädigt…
wer im Dienst betrunken oder feig ist …
wer zu den angeordneten Übungen ohne genügende Entschuldigung zu spät oder gar nicht erscheint …“.
Verstöße gegen diese Vorschriften sollten mit Geld-, im Wiederholungsfalle sogar mit Gefängnisstrafen geahndet werden. Befürworter und Gegner standen sich nach wie vor ablehnend gegenüber. Kaum bestellt, entzogen sich die Offiziere unter Vorlage oberamtsärztlich bescheinigter Zeugnisse oder anderer mehr oder weniger triftiger Gründe ihrem Dienst.
Auch Befehlshaber Hauptmann Xaver Schneider trat nach wenigen Tagen von seinem Amt zurück. Zum neuen Hauptmann wurde am 2 1. Oktober 1848 Alois Feßler aus Niederwangen gewählt.
Johann Jocharn von Berg suchte um seine Entlassung aus dem Offiziersdienst nach, weil sich in der Gemeinde gar kein Gehorsam und gar keine Ordnung zeigen wolle. Jene, die den Gesetzen Folge leisteten, mußten sich nach wie vor als Schmarotzer und Wohltuer beschimpfen lassen. Wer sich zum Offiziersdienst bereit fand, sah sich also immer noch Anfeindungen aus den Reihen der Bürgerwehrgegner konfrontiert.
Schließlich fand am 17. November 1848 unter Befehl von Hauptmann Feßler und Anleitung von Landjäger Ludwig Kibler zum ersten – und vermutlich einzigen – Mal ein gemeinsames Exerzieren der gesamten Bürgerwehr statt. Belege für weitere Waffenübungen der Niederwangener Bürgerwehr liegen nicht vor.
Im Sommer 1849 wurden die Musketen unter Eigentumsvorbehalt der Gemeinde an die Bürgerwehrmänner verteilt. Als im Dezember 1849 der Gemeinderat gegenüber der Amtsversammlung die seitherigen Auslagen für die Bürgerwehr offenlegte, beschränkten sich diese auf die Beschaffung der 44 Muskelen und Knallfeuer sowie knapp 3 Gulden für die Exerzierübungen durch Landjäger Kibler.
Zahlreiche Waffenübungen konnten im Verlaufe des Jahres 1849 also nicht gerade stattgefunden haben. Eine Uniformierung der Wehrmänner war noch nicht erfolgt.
Aufschiebung der Bürgerwehr
Gleichzeitig beantragte der Gemeinderat aber, die Bildung der Bürgerwehr möglichst lange aufschieben zu dürfen, wie es §3 des revidierten Bürgerwehrgesetzes vom 3. Oktober 1849 vorsah, wenn für eine Gemeinde die Aufbringung der Bürgerwehrkosten als besonders drückend eingeschätzt wurden.
Über die geschilderten ersten Anfänge gelangte die Organisation der Niederwangener Bürgerwehr also in den Jahren 1848/49 nicht hinaus. Und Ende 1849 hatten sich die politischen Verhältnisse bereits so weit verändert, daß der Bürgerwehrenthusiasmus auch bei den ursprünglichen Anhängern abgeklungen war.
Scheitern und Ende der Revolution
Mit dem Scheitern und Ende der Revolution Ende des Jahres 1849 hatte die Demokratie- und Revolutionsbewegung ihr offenkundiges Ende gefunden. Die im März 1849 von der Nationalversammlung verabschiedete Reichsverfassung war zwar in Württemberg, nicht jedoch in allen deutschen Bundesstaaten angenommen worden. Der preußische König Friedrich Wilhelm IV. hatte seine Wahl zum deutschen Kaiser abgelehnt.
Daraufhin war die Nationalversammlung zerfallen und zunächst als Rumpfparlament nach Stuttgart verlegt worden, wo sie jedoch im Juni von württembergischen Regierungstruppen gesprengt worden war. Die in Baden ausbrechende Revolution war durch Einsatz preußischer Truppen im Juli und August niedergeschlagen worden.
In Württemberg war es dagegen weitgehend ruhig geblieben. Im Ziellkonflikt zwischen dem Auftrag zum Schutz der Verfassung einerseits und Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung andererseits, entschieden sich die Bürgerwehren in Württemberg mehrheitlich für Letzteres. Sie pflegten bevorzugt den repräsentativen Teil ihrer Aufgaben, d.h. sie verschönerten durch ihr Auftreten Prozessionen und die Feiern zu Königs Geburtstag, wie in Wangen.
Allenfalls wurden an manchen Orten spontan sog. Freikompanien gebildet, beispielsweise in Tettnang und Ravensburg, die aktiv am Kampf für die Anerkennung der Reichsverfassung und zur Unterstützung der bedrohten badischen Republik teilnahmen.
Ende der Bürgerwehren und Verkauf der Waffen
Die deutschen Monarchen, so auch der württembergische König Wilhelm, nahmen nach und nach ihre liberalen Konzessionen zurück, die Reaktion setzte ein. Am Vollzug des Bürgerwehrgesetzes war niemandem mehr ernsthaft gelegen.
Nach eigener Aussage des württembergischen Innenministeriums vom Jahr 1849 war er ohnehin in neun von zehn Gemeinden gescheitert. Regulär bestehende Bürgerwehren wurden 1851 und 1852 aufgelöst. Andernorts entschlief der Bürgerwehrgedanke nach und nach, so wohl auch in Niederwangen, weshalb sich in den Akten über eine offizielle Auflösung auch nichts findet.
Auf Anfrage des Oberamts im Jahr 1853 teilte die Gemeinde mit, daß sie hinsichtlich der 1848 beschafften Waffen gerne bei der bestehenden Lösung bleiben würde. Die Bürger hielten die ausgegebenen Waffen in gutem Gewahrsam, ein Verkauf hätte erhebliche finanzielle Einbußen zur Folge. 1858 entschloß sich der Gemeinderat dann schließlich doch zum Verkauf, wobei 36 Gewehre einen Erlös von 37 Gulden und 43 Kreuzern erbrachten, also gerade ein Achtel der bei der Anschaffung bezahlten Summe.
Das Geld sollte sinnvoller für den Kauf landwirtschaftlicher Bücher verwendet werden
Die Niederwangener Bürgerwehr der Jahre 1848/49 hatte also eine schwierige Geburt und eine außerordentlich kurze Lebensspanne.
Sicherlich lassen sich Befürworter und Gegner der Bürgerwehr nicht simpel in Fortschrittliche und Konservative einteilen. In den Argumentationen kam politischen Gesichtspunkten allenfalls eine nachgeordnete Bedeutung zu.
Materielle Fragen der Finanzierung und der praktischen Durchführbarkeit standen im Vordergrund. Aber die geschilderten Begleitumstände dürfen doch als Anzeichen für eine grundsätzliche Wandlung des politischen Systems in Richtung auf eine stärkere Bürgerbeteiligung und Demokratisierung gedeutet werden.
Kontroverse Interessen wurden öffentlich diskutiert, Unmut gegenüber Regierenden und Gesetzesvorgaben nachdrücklich artikuliert, Mitwirkungsansprüche gegenüber den ausführenden Organen kollektiv eingefordert.
Mit der anschließenden Unterdrückung der Demokratiebewegung konnte die Durchsetzung solcher Prinzipien zwar nochmals hinausgezögert, letztlich aber nicht mehr auf Dauer verhindert werden.
In den Auseinandersetzungen um die Errichtung der Bürgerwehr haben die Niederwangener Bürger – ganz unabhängig vom Ausgang der Sache – jedenfalls recht selbstbewußt auf dem schwierigen Feld neuzeitlicher demokratischer Entscheidungsprozesse mit all ihren positiven und negativen Seiten agiert.
Es hat sogar den Anschein, daß diese eine nachhaltige Lagerbildung zur Folge hatten. Denn die Praktizierung demokratischer Spielregeln machte das Miteinander auch auf kommunaler Ebene nicht einfacher.
Im Mai 1849 trat jedenfalls Johann Jocham aus Berg, der sich beim Streit um die Bürgerwehr als Vertreter der ‚gesetzestreuen‘ Richtung erwiesen hatte und dem die gehorsame Aufstellung der Wehr in Erfüllung der gesetzlichen Vorschriften ein großes Anliegen gewesen war, die Nachfolge von Fidel Oberle, der sich mit dem Thema ‚Bürgerwehr‘ so schwer getan hatte, als Gemeindeschultheiß an.
Noch 1850 scheint es in der Gemeinde gebrodelt zu haben. Nun erregten die Vorgänge um ein privates Bauvorhaben die Gemüter. Diese nahm ein anonymer Verfasser zum Anlaß für einen im Wangener Wochenblatt veröffentlichten Leserbrief folgenden Inhalts: ‚Diese famose Baukonzessionsgeschichte liefert abermals den Beweis, wie notwendig für den gedrückten Bürger noch ein höherer Schutz in seinen bürgerlichen Angelegenheiten bestehen muß, und wie zeitgemäß es wäre, die Bauerntyrannei einer bessern Aufsicht, als bisher geschehen, zu unterstellen, bevor sie in gänzliche Anarchie ausartet, und ganze Gemeinden, wie in Aussicht steht, ihrer Verwahrlosung entgegensehen.‘
Deshalb schlägt der Verfasser folgende Bestimmungen hinsichtlich der Gemeindeverfassungen vor: ‚“daß jeder Kandidat, welcher sich zum Amte eines Ortsvorstehers hinzudrängt, vorerst ärztlich untersucht werde, wie es im obern Stocke desselben aussehe, damit die Gemeinden nicht in die Lage versetzt werden, im 19. Jahrhundert neben dem Rathause noch ein Narrenhaus erbauen zu müssen und 2. daß jeder gewählte Gemeindevorstand, bevor er als definitiv seine Funktion antritt, vor seiner Gemeinde eine öffentliche Prüfung über Schulkenntnisse und sonstige Fähigkeiten abzulegen habe, damit die Wähler nach der Anstellung desselben nicht zur Einsicht gelangen müssen, den größten Esel in der Gemeinde zum Vorsteher gewählt zu haben. Wangen, den 16. März 1850.
Daß Schultheiß und Gemeinderat von Niederwangen gegen den Verfasser dieser Zeilen umgehend eine gerichtliche Klage – unbekannten Ausgangs – angestrengt haben, dürfte sich von selbst verstehen.
Bürgergarde: Verherrlichung des Fronleichnamsfestes.
Allerdings – so haben die jüngst erfolgten Nachforschungen ergeben – wird man mit der Berufung auf die gesetzlich vorgeschriebene Errichtung der Niederwangener Bürgerwehr im Jahr 1848 nur einer – möglicherweise der weniger bedeutsamen – Wurzel der heute bestehenden Bürgerwehrtradition in Niederwangen gerecht.
Die Pflege althergebrachten religiösen Volksbrauchtums muß als gleichermaßen wichtiger Teil ihrer Entstehungsgeschichte gewertet werden. Bürgerwehren waren keine Erfindung des Jahres 1848. Die Anfänge bürgerlichen Wehrwesens reichen in die Geschichte der mittelalterlichen Stadtverfassungen zurück, als den Zünften die Aufgabe der Stadtverteidigung oblag. Organisation und Bedeutung der Zünfte waren wiederum eng mit dem Schützenwesen und den religiösen Bruderschaften verknüpft.
Diese genossenschaftlich organisierten Gruppen waren über die militärischen Aufgaben im Dienste des Gemeinwesens hinaus die wichtigsten Träger der örtlichen Kulturpflege. Sie traten in gleicher Tracht oder Kleidung bei Kirchenfesten und Prozessionen auf, bereicherten Hochzeiten oder den Fronleichnamstag mit dem Abschießen von Böllern.
Dies war gleichermaßen Ausdruck des eigenen Selbstverständnisses und der allgemeinen Freude an Repräsentation. Mit dem Aufkommen stehender Heere gerieten die militärischen Aspekte immer mehr in den Hintergrund.
Das öffentliche Auftreten konzentrierte sich auf die repräsentativen Anlässe, insbesondere dort, wo im Zeichen der Gegenreformation katholische Volksfrömmigkeit in sinnesfreudigen, barocken Formen so intensiv gepflegt wurde, wie in Oberschwaben.
Besonders feierlich beging man das Fronleichnamsfest am Donnerstag nach dem Sonntag nach Pfingsten. Schon im Mittelalter war es üblich, das Allerheiligste aus dem Kirchenraum hinaus zu tragen, es mit Prozession durch Straßen und Fluren zu begleiten, wo im Freien Altäre zur Verlesung der Evangelien aufgestellt waren und der Wettersegen erbeten wurde.
Dabei hatte sich auch das Abschießen von Böllern eingebürgert, die nach Meinung des Volkes Wolken vertreiben und den Himmel klären sollten. An manchen Orten fanden in Verbindung mit der Prozession auch Aufführungen theatralischer Fronleichnamsspiele statt. An der Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert gerieten viele Elemente dieses katholischen Volksbrauchtums ins Kreuzfeuer der Kritik einer vom Geiste der Aufklärung und Säkularisierung erfaßten Gesellschaft. Nicht wenige der lieb gewordenen Bräuche wurden zum Leidwesen der Betroffenen als übertrieben und abergläubisch kritisiert, zurückgedrängt, ja teils sogar verboten.
Dies umso mehr, nachdem 1810 das katholische Oberschwaben dem vom nüchternen Protestantismus geprägten Königreich Württemberg einverleibt worden war.
Als dann mit den Erfolgen im Deutsch-Französischen Krieg 1870/71, die zur Reichsgründung geführt hatten, sich überall in Deutschland alles Militärische einer weit verbreiteten Hochschätzung erfreute und nachdem 1874 in Niederwangen ein Veteranenverein gegründet worden war, entstand hier nicht von ungefähr der Wunsch, daß die Schützen bei der Fronleichnamsprozession auch in einheitlicher, repräsentativer, militärischer Uniformierung und eigener Bewaffnung auftreten sollten.
Dies umso mehr, als sich die zuletzt bei der Stadtgemeinde Wangen hierfür entlehnten Gewehre als alt und untauglich erwiesen hatten.
Etwas mehr als 20 Männer, alle Mitglieder des Veteranenvereins, fanden sich dazu bereit. Im Jahr 1880 veranstaltete man eine Haussammlung, die einen Erlös von immerhin 811 Mark und 60 Pfennigen erbrachte.
Im Frühjahr und Sommer desselben Jahres konnten damit Anschaffungen für Bewaffnung und Uniformierung von 24 Männern im Wert von 828 Mark und 80 Pfennigen gemacht werden, darunter zwei Offiziere und ein Tambour. Während des Jahres wurde die gesamte Ausstattung in einer Kammer des Rathauses verwahrt und nur zur Fronleichnamsprozession an die Teilnehmer ausgegeben. In der neuen und prächtigen Bewaffnung und Uniform dürfte die Bürgerwache‘ erstmals anläßlich des Fronleichnamsfestes 1881 paradiert haben.
Allerdings riefen diese Aktivitäten umgehend die vorgesetzten Behörden auf den Plan, denn die Bildung bewaffneter und uniformierter Wehren bedurfte nach den Vorschriften des einschlägigen Gesetzes aus dem Jahr 1853 der Genehmigung durch die Kreisregierung in Ulm.
Nachdem jedoch der Gerneinderat in einer ausführlichen Stellungnahme den genaueren Sachverhalt geschildert hatte, teilte die Kreisregierung mit, daß die so beschriebene Einrichtung in Niederwangen nicht genehmigungspflichtig sei, da die Merkmale eines organisierten bewaffneten Corps fehlten (keine geschlossene Vereinigung, keine Statuten, keine Einrichtung bleibender Chargen), sondern es sich nur darum handle, daß eine Anzahl von beliebigen Mitgliedern des Veteranenvereins in militärischer Kleidung und Waffen, welche auf dem Rathaus beeitgestellt und daselbst bis zum Gebrauchsfalle verwahrt werden, alljährlich die Fronleichnamsprozession begleiten.
Es solle dafür jedoch nicht der Begriff Bürgerwache‘ oder Bürgergarde‘ verwendet werden. Eine einheitliche und konsequente Bezeichnung der Einrichtung ist seitdem lange Zeit ein Problem geblieben.
So ist wechselweise von ‚Schützengesellschaft‘, ‚Militär‘, ‚Bürgermilitär‘, B ürgerwache‘ oder Bürgergarde‘ die Rede. Klarheit hat hier letzten Endes erst die 1988 unter dem Namen Bürgerwehr‘ erfolgte Eintragung ins Vereinsregister gebracht.
Auch weiterhin beschaffte die Gemeinde alljährlich 30 Pfund Böllerpulver.
Die Schützen erhielten nun 1 Mark Entschädigung aus der Gemeindekasse. Eine vollständige Namensliste der Mitwirkenden des ‚Bürgermilitär Verein‘ Niederwangen ist leider erst mit der Beschriftung der ältesten Fotoaufnahme aus dem Jahr 1914 überliefert.
Auf dieser Aufnahme präsentieren sich die Aktiven vermutlich in der Uniform des Jahres 1880 und mit den im Jahr 1908 neu beschafften Waffen. Letztere mußten 1915 kriegsbeängt abgeliefert werden. Als erster Hauptmann dürfte in den 1880er Jahren der damalige Vorstand des Veteranenvereins, Anton Meier aus Böhen, fungiert haben. Seit 1900 amtierte Gebhard Maurus aus Obermooweiler über 50 Jahre lang als Hauptmann der Bürgergarde.
Abgesehen von den Unterbrechungen während der beiden Weltkriege gehört die -bewaffnete und uniformierte Bürgerwehr‘ seitdem zum ebenso beliebten und geschätzten, wie ungebrochenen Niederwangener Lokalbrauchtum.